Auf der südöstlichen Seite von Meißen erhebt sich ziemlich steil der sogenannte Plossenberg, dessen westlich vorspringender Theil jedoch den Namen Martinsberg von der diese Höhe krönenden, 1570 zum Kloster St. Afra gehörigen Begräbnißkirche zu St. Martini (für die Bewohner der Dörfer Bockwein und Lerche) hat. Die Entstehung derselben wird verschieden erzählt. Nach einigen soll nämlich ein Ritter auf Schloß Siebeneichen bei Meißen sieben Söhne gehabt haben, deren einer Namens Martin ins gelobte Land zog, um für die von seinen Vorfahren begangenen Unthaten am Grabe des Erlösers Verzeihung zu erflehen. Nach langem Herumirren in der Fremde kehrte er endlich in sein Vaterland zurück und soll auf dem genannten Berge ein Pilgerhaus zur Aufnahme für Arme und Kranke gestiftet haben, welches, freilich in ausgearteter Gestalt - es war zu einer Freistätte für alles liederliche Gesindel geworden - bis zum J. 1520, unter dem Namen „der elende Kretscham (d. h. Herberge für elende Pilger)" am Fuße des Berges (zwischen der Salzniederlage und dem jetzigen Gasthof zum goldenen Schiff, welcher um 1531 die Gastgerechtigkeit von ihm erhielt) bestand. Mit diesem war aber eine Kapelle vereinigt worden, welche dem h. Martin geweiht war, der auch auf einem alten Altargemälde darin abgebildet war, wie er seine Kleider (nach der Legende) zerreißt und unter die Armen vertheilt. - Einer anderen Ursache schreibt aber eine von der eben mitgetheilten abweichende Sage die Entstehung der Kapelle zu. Es lebte nämlich in der zweiten Hälfte des 15ten Jahrhunderts zu Meißen ein wackerer Bürgersmann, Namens Martin, seines Zeichens ein Maurer, der fast allen seinen Verdienst zur Unterstützung der Armen verwendete. Derselbe war auch mit unter den von dem Baumeister Arnold von Westphalen zur Erbauung der Albrechtsburg (1471-83) verwendeten Werkleuten, stürzte aber eines Tags von einem Gerüste herunter und ward in Folge dieses Falles, der ihn lange an's Krankenbett fesselte, zum Bettler, da er alle seine früheren Kräfte verloren hatte und contract geworden war. In Folge davon mußte er betteln gehen, und so floß denn, wenn er auf den Stufen des Doms, auf Krücken gestützt, die in's Gotteshaus Eilenden um Almosen anflehte, manche reichliche Gabe in seinen Bettlerhut. Siehe da kam die Pest mit ihren Schrecken, und Vater Martin ging nun in den angesteckten Häusern herum und brachte den Kranken, welche oft ihre eigenen Verwandten mieden, Trost, Abwartung und Hilfe, so daß manches Menschenleben lediglich durch seine Thätigkeit gerettet ward. Nachdem nun die Krankheit gewichen war, da schossen Rath und Bürgerschaft eine erkleckliche Summe zusammen, um ihm der Stadt Dankbarkeit zu beweisen. Martin aber lebte als Bettler fort und erbaute von dem ihm geschenkten Reichthume die Martinskirche, welche nach ihrem Erbauer auch die Bettelmannskirche genannt ward, und zum Andenken wurden in einem Steine im Innern der Kirche zwei Krücken eingehauen, welche für ewige Zeit an ihren Träger erinnern sollten und noch zu sehen sind.
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Johann Georg Theodor Grässe, Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen, Bd. 1. Zweite verbesserte und vermehrte Auflage, Dresden 1874, S. 53-55.