Meißen-Lese

Gehe zu Navigation | Seiteninhalt
Meißen-Lese
Unser Leseangebot

Hans-Jürgen Malles
Kennst du Friedrich Hölderlin?

Seine Werke gehört neben denen Goethes und Schillers zu den bedeutendsten der deutschen Klassik, auch wenn sein Leben im Wahnsinn endete. Eine Hinführung zum Verständnis von Hölderlins Persönlichkeit und Werk bietet Deutschlehrer Malles hier. Der Leser erhält Einblicke in ein facettenreiches Leben voller Höhen und Tiefen und darf teilhaben an Hölderlins Begeisterung für die Französische Revolution und die griechische Antike. Auch die Liebe zu Susette Gontard soll nicht unerwähnt bleiben.

Der Gänsejunge von Meißen

Der Gänsejunge von Meißen

Hans-Jürgen Pohl

Es war einmal ein Junge, der hieß Klaus. Wo es etwas zu sehen gab, war er dabei: Bei Hochzeitsfeiern und Begräbnissen, beim Kindtaufschmaus und im Fastnachtstrubel. Gar armselig war er anzusehen in seinem buntgeflickten Kittelchen, und durch die leichte Hose pfiff der Wind.

„Heute soll der Kurfürst nach Meißen kommen." Diese wichtige Neuigkeit hatte die geschwätzige Nachbarin am Morgen der Frau Mutter erzählt. Und richtig, schon schritten die Ratsherren in feierlichem Kettenschmuck zum Rathaus, und unter Trommelschlag und Pfeifenklang schwenkten die Stadtknechte durch die Elbgasse zum Brückentor.

Klaus murrte: Zu dumm, dass er nicht heute bei dem Einzug des Kurfürsten dabei sein konnte; das war je gar kein Fest, wenn er fehlte! Zu dumm, dass er ausgerechnet heute Mutters Gänse hüten musste! Klaus überlegte lange, lange - nichts Rechtes wollte ihm einfallen, so anstrengend er auch nachdachte. Hoch und spitz erscholl von weiten ein Trompetenton. Fahnen flatterten im Wind. Ein schwerer Reisewagen polterte über die Brücke. Das musste der Kurfürst sein.

Da fiel dem klugen Klaus ein herrlicher Gedanke ein. Mit einem entschlossenen Griff packte er seine Gänse, zwängte sie mit einem herzhaften Ruck durch den Ledergürtel, der sein dünnes Höslein festhielt, und drängte sich, die Ellbogen voran, durch die dichten Reihen der Gaffer. Endlich hatte er es geschafft, er stand in der vordersten Reihe. Was es alles zu bewundern gab! Viel schöner war es als sein kühnster Traum.

Selbst die Gänse staunten, sie rissen vor Begeisterung die Schnäbel auf und verdrehten verwundert die Augen. So etwas Herrliches hatten sie wahrlich auch noch nicht gesehen!

Der feierliche Einzug war vorüber. Die letzten Trompetenstöße zerflatterten im Sommerwind. Die Menge verlief sich. Klaus war müde geworden vom vielen Hinschauen. Seine Gänse wohl auch? Sie waren so merkwürdig still und neigten die Köpfe. „Biele, biele, bie ..." Tot hingen sie am Gürtel, waren jämmerlich erstickt. Ihre glasigen Augen starrten vorwurfsvoll den Jungen an. Klaus kratzte sich hinter den Ohren. Au weh! Wenn er heimkam! Sein Gesicht wurde lang und länger. Zuschauer sammelten sich und spotteten: „Schaut ihn nur, wie er dasteht, dieser dumme Junge von Meißen!"

Ein paar Jahre später hatte keiner mehr über ihn gelacht, weder über seinen dummen Streich noch über seinen armseligen Kittel. Der Kurfürst ließ ihn an seinen Hof rufen, er hatte erkannt, dass Klaus gar kein dummer Junge war, sondern ein witziges Kerlchen, über dessen kluge Antworten man herzlich lachen konnte. An des Kurfürsten Hof hat Klaus als Spaßmacher ein lustiges Narrenleben geführt.

Die Volksmeinung hat das Ereignis direkt in die Stadt Meißen verlegt. Die geschichtlichen Tatsachen sehen anders aus.

 

Text- und Bildquelle: Hans-Jürgen Pohl: Geschichten und Sagen des Meißner Landes, geschrieben nach alten Chroniken, Urkunden, Überlieferungen, S. 25 f.

Weitere Beiträge dieser Rubrik

Vom Bischoff Ido zu Meißen
von Johann Georg Theodor Grässe
MEHR
Räthsel von der Stadt Meißen
von Johann Georg Theodor Grässe
MEHR
Die tapferen Weiber von Meißen
von Johann Georg Theodor Grässe
MEHR
Der Dombrand zu Meißen
von Johann Georg Theodor Grässe
MEHR
Anzeige:
Unsere Website benutzt Cookies. Durch die weitere Nutzung unserer Inhalte stimmen Sie der Verwendung zu. Akzeptieren Weitere Informationen